Beim „offiziellen Nachrichtenmagazin der Piratenpartei“ , der Flaschenpost, tut sich in der letzten Zeit wieder so einiges. Zumindest gibt es eine Reihe an Meinungsartikeln – wenn auch nur von wenigen Autoren.
Da dort Kommentare schnell unsichtbar werden und manche Replik einfach zu umfangreich wird, habe ich mir erlaubt, hier (erstmalig) quasi mithilfe des Netzes zu kommentieren.
Das (letzte) interessante Thema in der Flaschenpost war „Utopien und Visionen“. Nun ja, das Intro bezog sich auf den Begriff aus solchen – Wikipedia beschreibt das sehr schön mit „Die in Utopien beschriebenen fiktiven Gesellschaftsordnungen resultieren aus einer Kritik der jeweils zeitgenössischen Gesellschaftsordnung und können als positive Gegenentwürfe gelesen werden.“
Der Begriff „Utopie“ spielt hier deswegen eine Rolle, weil sozusagen im Vorwort des Artikels ein Bezug zur geheimnisvollen Gruppe „Utopie 25“ hergestellt werden soll. Kann man machen.
Der Fehler bei „Utopie 25“ besteht schon in der Namenswahl, nämlich der Verwendung des Begriffs „Utopie“. Eigentlich müsste das Agenda 2025 heißen, denn die Zielsetzung scheint – soweit man das beurteilen kann – in der Veränderung der Piratenpartei Deutschland zu irgendwas Besserem.
Dagegen wäre nichts einzuwenden.
Allerdings müsste man sich zunächst einmal über die Probleme klar werden, der die derzeitige Konstellation immer weiter in den Abgrund führt.
Der Artikel legt den Finger in offene Wunden wie „BuVo as a Service“, Verwaltungs- und Technikangelegenheiten, und „Themen und Gesichter“.
In der Tat funktioniert bei der Piratenpartei in Deutschland recht wenig und von dem Wenigen wenig wirklich gut.
Die Gruppe „Utopie 25“ ist ein sehr geschlossener Kreis mit handverlesenen Mitgliedern und internen Informationswegen. Das erinnert mich mehr an Konspiration, denn an produktives Handeln.
Eine ähnliche Splittergruppe gab es mit der Gründung der „Progressiven Plattform“ und deren Abspaltungen in 2014. Nur Gelaber und Streit, wer hier an den „richtigen Gott“ glaubt.
Konservative Gruppen wie der „Frankfurter Kreis“ blieben genauso im eigenen Sumpf stecken, als dass sie irgendwas Sinnvolles bewirkt hätten.
Solche Gruppen erblicken nach meiner Erfahrung immer gerne vor BuVo-Wahlen das Licht der Welt, um die eigenen Kandidaten zu platzieren, möglichst ohne frühzeitiger Vorstellung der Person (die fünf Minuten auf einem Parteitag zählen nicht wirklich). Nach Qualifikation wird selten gefragt, nach politischer Agende noch weniger.
Und damit sind wir beim springenden Punkt:
„Utopie25 versteht sich als Netzwerk, Plattform, Gruppe und Kollektiv, das die progressiven und links libertären Ziele der Piratenpartei wieder auf die Tagesordnung bringt.“
„Die Piratenpartei ist auf Bundesebene an einem Punkt, an dem die strukturelle Misswirtschaft finanzielle Konsequenzen bewirkt.“
„Wir verstehen in einer basisdemokratischen Partei den Bundesvorstand als Dienstleister für die Basis.“
„Top-Down-Politik und eigenmächtige inhaltliche Arbeit lehnen wir ab.“
Wer ist denn „Wir“ und wie will diese Gruppe dann wirken? Darf man sich da ein Kollektiv als Bundesvorstand einer Partei vorstellen? Und wie sieht es denn in der Praxis bei den der Gruppe nahestehenden Landesverbänden aus?
Es ist eine Binse, dass in der Piratenpartei beim Einsatz von eigener Technik seit Jahren viel im Argen liegt – eigentlich ist das ein Trümmerhaufen.
Das liegt an denjenigen, die diesen „Trümmerhaufen“ beaufsichtigen und anleiten sollen. Die Techniker verstehen schon etwas von der Technik. Und mit Techniker meine ich nicht irgendwelche Trolle, die mit technischen Begriffen um sich werfen, die nicht einmal richtig schreiben, geschweige denn aussprechen können. Seltsamerweise sind es die gleichen Leute, die ständig erzählen, welche technischen Großtaten sie vollbracht haben.
Die Technik, die professionell bereitgestellt und gewartet wird, läuft hingegen die in der Regel recht störungsfrei (SAGE, Redmine, Cloud).
Aber auch hier kommt es zu teuren Katastrophen, wenn man grob fahrlässig vergisst, verifizierte Datensicherungen zu machen. Ein Ereignis, dass die Piratenpartei Deutschland um ein Haar in den Bankrott hätte führen können. Allein die Kosten für die Fremdarbeit zur Schadensbeseitigung beläuft sich auf einen fetten fünfstelligen Betrag.
Die Mitgliederverwaltung ist eine weitere Baustelle, da man wohl mit Tabellen und Funktionen nicht umgehen kann.
Das sogenannte PRM war eine Software, die schon aus Gründen des Datenschutzes und der Datensicherheit nie hätte an den Start gehen dürfen, so schöne bunte Tortendiagramme sie auch geliefert hat. Durch den Zusammenbruch von SAGE hat sich das PRM schon aus Lizenzgründen erledigt.
„Utopie 25“ schreibt: „Dieser Strukturschwäche wollen wir entgegentreten und bauen eigene funktionierende Strukturen (IT, Vernetzung, Verwaltung etc.) auf.“
Das kann sogar sehr gut funktionieren, wie die AG Technik des Denk Selbst e.V. seit 2013 zeigt, ohne dass hier den diversen „Kunden“ größere Kosten entstehen.
Oder in anderen, etwas protzigen Worten ausgedrückt: Das, was die Bundes-IT an Diensten betriebt, könnte die AG Technik mit übernehmen, ohne dass es zu weiteren Störungen kommt. Aber wer will sich denn dann 24/7 einem Shitstorm aussetzen, bis einem die Mitarbeitet weglaufen?
Funfact: Die Bereitstellung des Mattermost durch die AG Technik hat die Piratenpartei Deutschland jahrelang keinen Cent gekostet.
Die Diskussion um einen Etat von 61.000,00 EUR für eine Mitgliederverwaltung, die normalerweise ein Zehntel kosten würde und um ein Social-Media-Tool für läppische 15.000,00 EUR zeigt, wohin die Reise geht. Letzteres wird meiner Meinung nach noch viele Monaten der endgültigen Einrichtung harren und wird uns wohl kaum in Form von Wahlprozenten nutzen. Ich bin relativ sicher, dass diese Programme gut funktionieren, aber die Preise stehen in keinem Verhältnis zu unseren stark sinkenden Einnahmen und dem zu erwartenden Ergebnis.
Die oben angeführt „strukturelle Misswirtschaft, die finanzielle Konsequenzen bewirkt“ kann man auch sehr schön an Beispiel des P-Shop-Desasters ablesen. Ein echtes Bemühen um Schadenersatz und eine Ahndung von mutmaßlich kriminellen Machenschaften kann ich nicht erkennen. Allein der Verlust an Inventar, Waren und Finanzmitteln dürfte sich auf über 100.000,00 EUR belaufen und dazu kommen erhebliche Prozesskosten und das Damoklesschwert eines Bescheides der Sozialversicherung über rund 70.000,00 EUR.
Seit 2013 gibt es die Baustelle BEO – der BER der Piratenpartei. Hier ist auch schon reichlich Geld geflossen, ohne dass wir zumindest eine Beta-Version nutzen könnten.
Das Antragsportal ist seit dem letzten Bundesparteitag in seinem Zustand geblieben, seltsames Verhalten der Software und der Gruß der Error-500-Seite inbegriffen.
Wenn man diese Eigenprodukte im Rahmen einer Blackbox erstellt, muss man sich auch nicht wundern, dass es schief geht, wenn sich „The Brain“ vom Acker macht.
Dass es funktionierende professionelle Lösungen gibt, wird grundsätzlich ignoriert.
Fazit: Es werden Menschen gewählt und Beauftragte eingesetzt, die die Voraussetzungen nicht erfüllen, eine Regie, eine Aufsicht und ein Berichtswesen ist nicht erkennbar. Das sind Basics in jeder größeren Organisation. Und das hat überhaupt nichts mit dem Ehrenamt zu tun.
Ehrenamtliche machen in der Regel einen viel besseren Job. Das sieht man auch bei größeren Schadenereignissen, wenn die behördlichen Institutionen regelmäßig versagen.
Damit wäre das Problem einfach lösbar: Wählt Leute, die die notwenigen Skills, die benötigte Zeit und auch das notwenige Kleingeld (ja, ist so) haben.
Das kann auf alle Verwaltungs- und technischen Aufgaben übertragen.
Kommen wir zum „BuVo as a Service“:
„Wir verstehen in einer basisdemokratischen Partei den Bundesvorstand als Dienstleister für die Basis.“
Falsches Wording muss man schreiben, denn das „Wir“ dürfte inkongruent zu dem Organ „BuVo“ sein.
Ich kann den Gedanken durchaus nachvollziehen, wenn „BuVo as a Service“ meint, dass der BuVo seinen gesetzlichen und satzungsmäßigen Ausgaben nachkommt und den Laden so optimal wie möglich am Laufen hält.
Da wiederhole ich mich gerne:
Damit wäre das Problem einfach lösbar: Wählt Leute, die die notwenigen Skills, die benötigte Zeit und auch das notwenige Kleingeld haben.
Was bedeutet nun „Top-Down-Politik und eigenmächtige inhaltliche Arbeit lehnen wir ab“?
Seitdem ich in der Piratenpartei Deutschland Mitglied bin (2009) gibt es dieses „Top down“ in der Form: Du machst gefälligst, was ich Dir sage, sonst fliegst Du raus, aka Du wirst (irgendwo) gesperrt. Das Sperren ist übrigens ein tolles Hobby der „Schnittstellenbesetzer“.
Top down ist nicht, wenn ein Vorstand geschäftsmäßig arbeitet und die Verwaltung so optimal wie möglich organisiert.
Inhaltliche Arbeit ist allerdings immer „eigenmächtige Arbeit“. Sinnvoll ist es, das Ergebnis mit anderen (z.B. der Parteibasis) abzusprechen.
Und natürlich kann man kein höchst bürokratisches Regime einführen und durchziehen (das gelegentlich wichtige Beiträge wie Pressemitteilungen und Beiträge für die Website um viel Tage verzögert) und dann sich selbst das Recht herausnehmen, seine eigene persönliche Meinung in die Welt zu posaunen, nur weil man die entsprechenden Zugangsrechte zu den Mediendienst besitzt.
Und „eigenmächtige inhaltliche Arbeit“ ist die Voraussetzung für politische Diskussionen, das Ringen um Positionen, das Erarbeiten von Standpunkten – die auch durchaus aktuelle Themen beinhalten dürfen.
Das findet hier seit Jahren nicht statt und auf wird Bundesparteitagen gerne durch die Tagesordnung und/oder die Versammlungsleiter entsorgt.
Fazit: Eine Partei verliert ihren Sinn, wenn es keine lebendige politische Diskussion gibt und programmatische Arbeit in kurzfristig eingebrachte Anträge gekippt werden, die auf einen weitgehend ahnungslosen Bundesparteitag entschieden werden. Und auch nur dann, wenn etwas mehr getan werden soll, als Pöstchen zu wählen.
Zusammenfassend behaupte ich, dass die Reorganisation der Piratenpartei Deutschland funktioniert, wenn
- alle Verwaltungs- und Technikangelegenheiten durch Mitarbeitende, die die notwenigen Skills, die benötigte Zeit und auch das notwenige Kleingeld haben, übernommen werden und es ein Management gibt, dass diese Aufgaben steuern kann;
- wenn ein Vorstand geschäftsmäßig arbeitet und die Verwaltung so optimal wie möglich organisiert und seine gesetzlichen und satzungsmäßigen Aufgaben wahrnimmt;
- die Voraussetzung für politische Diskussionen, das Ringen um Positionen, das Erarbeiten von Standpunkten – die auch durchaus aktuelle Themen beinhalten dürfen – geschaffen und gelebt werden;
- es ein Konzept für die politische Arbeit und die Öffentlichkeitsarbeit gibt, welches sich an die Zielgruppe „Wähler“ und weniger an die eigene Bubble richtet;
- alle wichtigen Positionen mit Menschen besetzt werden, die die notwenigen Skills, die benötigte Zeit und auch das notwenige Kleingeld haben, übernommen werden und es ein Management gibt, dass diese Aufgaben steuern kann;
- Transparenz und Rechenschaftslegung innerparteilich so funktionieren, dass der Inhalt der beiden Begriffe erfüllt wird.
(Die Aufzählung ist nicht abschließend.)
Ansonsten gebe ich dem Auto des Artikels recht, dass er „keine einzige Vision oder gar Utopie auf Utopie25 entdecken“ kann. Ich nämlich auch nicht.
Bezug zur Quelle: https://flaschenpost.piratenpartei.de/2022/03/11/von-utopien-und-visionen/